Dr. Jens Baas – Chef der Techniker über seine Vision, die TK zur führenden, digitalisierten gesetzlichen Krankenversicherung zu machen und damit bottom up das deutsche Gesundheitswesen zu verbessern

In dieser Folge spricht Inga Bergen mit Dr. Jens Baas über seinen persönlichen Weg von der universitären Chirurgie, über die Partner-Rolle in einer großen Unternehmensberatung an die Spitze der größten gesetzlichen Krankenversicherung in Deutschland und seine Visionen für das Gesundheitswesen in Deutschland.

Dr. Jens Baas will das Gesundheitssystem verbessern

Jens Baas ist Mediziner, und wollte ursprünglich mal C4-Professor werden. Da ihm das betriebswirtschaftliche Know-how fehlte und sein Ziel war, eine große Universitätsklinik zu leiten, entschied er sich nach dem Medizinstudium, in eine Unternehmensberatung zu gehen. Bei der Boston Consulting Group war er als Berater, zunächst im Finanzwesen und in der Automobilindustrie, dann aber vor allem im Gesundheitswesen, der Medizintechnik- und Pharmaindustrie unterwegs. Er hat die Dynamiken verschiedener Unternehmen als Berater erlebt. Diese Perspektivenvielfalt prägt auch sein heutiges Wirken als Vorstandsvorsitzender der Techniker Krankenkasse.

JEr spricht Themen an, die viele seiner Kollegen meiden und bezieht klar Position. In der Beratung hat er gelernt, sich nie mit dem Status quo zufrieden zu geben: Es ist egal, wie gut etwas ist, es geht immer besser.

Veränderung braucht starke Visionen und Zielbilder 

Im Gesundheitssystem ist es besonders schwierig, Veränderungen umzusetzen, weil hier viele unterschiedliche Interessen aufeinandertreffen. Um etwas zu bewegen, braucht es klare Ziele und eine starke Vision, um Menschen zu überzeugen und mitzunehmen.

Beides ist auch als Vorstand einer Körperschaft des öffentlichen Rechts notwendig: Gute Argumente sind eine gute Grundlage, um Mitarbeitende zu führen, die klare Vision macht den Unterschied. Menschen müssen verstehen, welche Rolle sie in dieser Vision haben. Mitarbeitende müssen den Nutzen von Veränderung verstehen und sich darauf verlassen können, dass sie in dem Prozess mitgenommen werden.

Man muss mit Menschen kooperieren, die Veränderung wollen

Ziel ist, mit jeder App die Versorgung in einem gesamten Indikationsbereich zu unterstützen. Gesundheits-Apps ermöglichen den direkten Kontakt mit Patientinnen und Patienten. Der Ansatz von Jens Baas ist es, mit den Menschen im Gesundheitswesen zu kooperieren, die ebenfalls das System verändern möchten. Auf die Zusammenarbeit mit ihnen fokussiert er sich. Mit geborenen Funktionären, deren Hauptziel es ist, ihre Position zu erhalten, ist Veränderung sehr schwierig.

Im Bereich Digitalisierung hat die letzten Legislaturperiode viel verändert. Führende Köpfe und Treiber der Digitalisierung im Gesundheitswesen werden allerdings in der neuen Legislaturperiode das Bundesministerium für Gesundheit verlassen und Jens Baas setzt sich dafür ein , dass das Thema weiter so prominent auf der Agenda bleibt.

Die Finanzierung des Gesundheitssystems ist ein politisches Thema 

Wie halten wir das Gesundheitssystem finanzierbar? Für 2022 gibt es einen Rekord-Steuerzuschuss für die GKV. Die Ausgaben steigen permanent, viele Kassen haben kaum noch Reserven. Das sind auch Folgen der Gesetzgebung. Langfristig sind immer höhere Zuschüsse jedoch keine Lösung. Es braucht sinnvolle Reformen, die auch die Ausgaben senken.

Statt Krankenhausschließungen müssen wir Visionen für neue, moderne Krankenhäuser diskutieren

In einige Blöcke kann das System Geld sparen und zeitgleich etwas Gutes für die Patientinnen und Patienten tun. Krankenhäuser entscheiden zum Beispiel, so Jens Baas, über viele Eingriffe aufgrund des ökonomischen Drucks. Deutschland hat zu viele Krankenhausbetten. Und im Idealfall muss jedes Bett mit Patientinnen und Patienten belegt sein, die einen hohen Deckungsbeitrag haben. Viele Betten erzeugen einen Druck, unter dem Patientinnen und Patienten leiden. Zudem hat Deutschland viel mehr Pflegekräfte pro 100.000 Einwohner als die meisten anderen Länder.

Jens Baas fordert von der Politik, die Anzahl der Klinikbetten zu reduzieren. Es gibt Bereiche, in denen Geld gespart und zeitgleich etwas Gutes für die Patientinnen und Patienten getan werden kann. Zum Beispiel wenn die Krankenhauslandschaft sinnvoller auf den Bedarf zugeschnitten würde. Wir haben in Deutschland zu viele Krankenhausbetten. Das macht aus Baas‘ Sicht die Versorgung nicht besser, sondern schlechter, weil vorhandene Betten aus ökonomischen Gründen gefüllt werden. Patienten müssen deshalb teilweise aus wirtschaftlichen Gründen Operationen in Kliniken über sich ergehen lassen, die medizinisch nicht immer notwendig sind oder ambulant durchgeführt werden könnten. Hinzu kommt laut Baas: Deutschland hat mehr Pflegekräfte pro 100.000 Einwohner als viele andere Länder. Wenn die sich auf weniger Fälle und sinnvoll spezialisierte Kliniken verteilen, könnte dies die Pflegepersonalsituation entschärfen. Statt nur plump über Klinikschließungen zu diskutieren, braucht es laut Baas, eine Vision, welche Art von Kliniken wir in der Zukunft haben wollen.

Ein profitorientiertes Gesundheitssystem – geht dies auf Kosten der Patientinnen und Patienten? 

Jens Baas hat in der Beratung auch das staatliche Gesundheitssystem NHS in Großbritannien genau kennen gelernt – dieses System hat Patientinnen und Patienten schon lange aus den Augen verloren und ist für ihn ein Beispiel, dass ein Gesundheitssystem ohne Wettbewerb nicht gut funktioniert.

Gleichzeitig braucht es in diesem Wettbewerb auch Regeln, etwa in Bezug auf Preisfindungsmechanismen für neue, extrem hochpreisige Arzneimittel, die dafür sorgen, dass diese für die Versichertengemeinschaft bezahlbar bleiben.

Mit Digitalisierung ermöglicht individualisierte Präventionsangebote

Mit der Digitalisierung stehen nun erstmals in der Geschichte der Medizin Daten zur Verfügung, die es ermöglichen, Prävention individuell auf jeden Einzelnen zuzuschneiden. Das führt zu einer ganz neuen Qualität in der Prävention, da das persönliche Risiko bzw. die individuelle Krankengeschichte berücksichtigt werden können und Maßnahmen nicht nach dem Gießkannenprinzip verteilt werden.

Die Zukunft der ambulanten Versorgung

Es wird weiter Einzelpraxen geben. Digitalisierung muss dazu genutzt werden, Prozesse und Verwaltung stark zu vereinfachen. Ärztinnen und Ärzte müssen befreit werden, um die Zeit am Patienten verbringen zu können.

Die Erwartungen der digitalisierten Welt erfüllen

Dr. Jens Baas‘ Vision ist es, die TK zu der Krankenversicherung zu machen, die definiert, wie eine Krankenkasse im digitalen Zeitalter aussehen muss. Das bedeutet nicht, dass die TK eine rein digitale Krankenkasse wird, sondern dass alle Services rund um das Thema Gesundheit genauso komfortabel digital möglich sind wie beim Online-Banking oder Online-Shopping.

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2 Antworten zu „Dr. Jens Baas – Chef der Techniker über seine Vision, die TK zur führenden, digitalisierten gesetzlichen Krankenversicherung zu machen und damit bottom up das deutsche Gesundheitswesen zu verbessern“

  1. Avatar von Katrin Timm
    Katrin Timm

    Sehr geehrter Herr Dr. Baas,
    wir sind Jahrzehnten bei der Techniker Krankenkasse versichert und immer sehr zufrieden.
    Wir würden uns wünschen, daß die ungeimpften Corona Patienten einen Teil ihrer Behandlungskosten selber tragen müssen. Das wäre nur gerecht. Schließlich muss man für Brillen, Zahnersatz, Hörgeräte etc. auch zu bezahlen. Und wenn der Zuzahlungsbetrag für Ungeimpften hoch ist, dann würden mehr Menschen sich impfen lassen.
    Mit freundlichen Grüße und bleiben Sie gesund
    Familie Timm


  2. Avatar von Christa Lissey
    Christa Lissey

    In einigen Bundesländern ist es schon möglich, dass Beamte/Beamtinnen sich nicht Privat, sondern über die GKV versichern. Das ist freiwillig, wird aber auch von neuen, jungen Beamten gewünscht. Da gibt es das sog. „Hamburger Modell“.
    Der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer teilen sich die Beiträge. Ich meine, die GKV´s sollten sich viel mehr darum bemühen, dass in ganz Deutschland neu eingestellte Beamte auswählen dürfen, wohin sie wollen. Das spart längerfristig Kosten für die Länder, die Mitarbeiter wünschen sich das z.T. so, und die GKV,s würden neue Beitragszahler/Zahlerinnen bekommen. Viele Grüße, Christa Lissey


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