Episode 30 | Mari Günther – über Menschenrechte & die medizinische Versorgung von transgeschlechtlichen Menschen

Mari Günther ist Fachreferentin für Beratungsarbeit im Bundesverband Trans, diplomierte Gemeindepädagogin, systemische Therapeutin und vor allem Kämpferin für die menschlichen und medizinischen Rechte von Transsexuellen. Seit 12 Jahren berät sie transgeschlechtliche Menschen. In dieser Zeit hat sie die schwierige Gesetzeslage gut kennen gelernt und die mangelnde medizinische Versorgung hautnah mitbekommen.

Mari Günther & Inga Bergen

Im Podcast räumt sie zunächst mit ein paar Missverständnissen auf und erklärt, was sich hinter dem Begriff „Transsexuell“ verbirgt. Sie gibt uns einen Einblick darüber, vor welchen Herausforderungen Transsexuelle stehen & mit welchen gesetzlichen Hürden sie in Deutschland konfrontiert werden. Sie verrät uns, warum oft die „fehlende Sprache“ und eine medizinische Pathologisierung, also „Krankmachung“ des Themas, eine Akzeptanz für die Betroffenen unmöglich machen. Und erklärt warum Schuhgrößen ein wichtiges Thema sind. 

Wie in jeder Episode bekommt auch Mari Günther zu Beginn die Chance sich selbst und ihr Arbeit vorzustellen. Sie ist aktiv im Bundesverband Trans (nicht zu verwechseln mit dem der Bundesverband Transportbeton!). Hier arbeitet sie seit vielen Jahren in der Beratung und Betreuung von Transpersonen in Deutschland. Um dieser oftmals benachteiligten Gruppe eine Stimme zu geben und das Thema auf die politische Bühne zu heben, wurde vor fünf Jahren der Bundesverband Trans* gegründet. 

Mari studierte Evangelische Gemeindepädagogik und ist ausgebildete systemische Therapeutin. In den 90er war sie sogar für eine evangelische Kirche aktiv. Auch wenn sich die Wege später trennten, prägte sich bei Mari der „Gedanke der menschlichen Existenz“ für ihre späteren Arbeiten fest ein.

Transsexuelle werden bis heute pathologisiert, weil sie wie Inga sagt, „von der kleinbürgerlichen Norm abweichen“. Transsexualität wird in der Medizin bis heute als eine psychische Erkrankung eingestuft. Mari nimmt in ihrem Job den Blick der Transperspektiven ein. Dabei untersucht Sie unter anderem den Stand der Forschung zu diesem Gebiet. Sie will Antworten auf Fragen wie z.B. inwiefern die Medizin es geschafft hat, sich mit transsexuellem Leben auseinanderzusetzen?

Diagnose Transsexuell

Was passiert, wenn jemand erkennt, dass er inter- oder transsexuell ist? Transgeschlechtliche Vielfalt ist nicht binär, d.h. es geht nicht darum zu entscheiden, ob jemand ein Mann oder eine Frau sein möchte. Manchmal geht es gar nicht um die Körperlichkeit, sondern um eine rechtliche Anerkennung und Respekt. Für beides spiele die Medizin eine wichtige Rolle, da sowohl für körperliche Veränderungen aber auch für rechtliche Anerkennung eine medizinische Diagnose nötig ist. Wie genau diese Aussieht, was dort diagnostiziert wird und warum das ein menschenrechtsfeindliches Vorgehen ist, erzählt Marie ab Minute 6:15.

Fehlende Sprache

Hinter der Entwicklung von Transpersonen steht immer eine lange, individuelle Geschichte. Es ist ein Prozess von Auseinandersetzung und Selbstfindung, bei der es auch viel darum geht, die richtige Sprache zu finden. Die richtigen Worte, um seine Gefühle und Empfindungen ausdrücken und sich mit ihnen auseinander setzen zu können. Geschlechtsidentität ist kein typisches Thema der Kinderstube und elterlichen Erziehung. Erst Internetrecherchen geben Kindern und Jugendlichen die richtigen Wörter, um sich endlich zu erkennen, sich ausdrücken zu können. Danach sind die weiteren Wege sehr unterschiedlich, sagt Marie ab Minute 12:20. Fokus ihrer Beratung ist es auch, die individuellen Versorgungsbedürfnisse aufzudecken. Durch Aufzeigen der Möglichkeiten und Risiken kann die Transperson eine informierte Entscheidung.

Alltagserprobung

Die Grundlage einer informierten Entscheidung wird auf einer medizinischen Diagnostik gebildet. Gemäß den Deutschen Leitlinien für Erwachsene handelt es sich um eine Selbstdiagnose, die maßgeblich von der Selbstauskunft der betroffenen Person abhängt. Der diagnostizierende Arzt oder Therapeut erfasst in ein paar Sitzungen die Lebenssituation und ggf. psychische Erkrankungen. Dieses Vorgehen könnte gut akzeptiert werden und klingt vernünftig. Doch dagegen steht die Vorgabe des medizinischen Dienstes Bund: sie fordert nicht nur die Diagnostik, sondern 12 Monate Psychotherapie, um eine Hormontherapie beginnen zu können und sogar 18 Monate Therapie vor chirurgischen Eingriffen. Diese 12 Monate beinhalten ein Alltagserprobung, in der der ‚Patient‘ in seinem gewählten Geschlecht leben muss. Mari verurteilt dieses Vorgehen als veraltet und vor allem falsch. Welche weiteren Standards und Probleme es hier gibt und welche Entwicklungen sich abzeichnen erzählt Mari ab Minute 15:20.

Seismografen von Demokratie

Ab Minute 25:40 widmen sich Mari Günther und Inga dem Thema „Rechte und Demokratie“. An den Rechten von Transmenschen könne oftmals der Zustand einer Demokratie abgelesen werden. Überall dort, wo es populistische Regierungsparteien gibt, gehören Transpersonen zu den Gruppen, die in der Regel zuerst in ihren Freiheits- und Menschenrechten eingeschränkt werden. Nicht Jeder von uns ist davon betroffen, nicht jeder ist Trans, oder Mitglied einer anderen Minderheit. Aber es sollte jeden Einzelnen von uns interessieren, denn der Umgang mit geschlechtlicher Vielfalt ist ein Indikator unseres gesellschaftlichen Klimas!

Der Glitzer der aufgeklärten Zivilisation

Zum Schluss ab Minute 36:20 stellen sich Mari und Inga der Frage, wie in Zukunft das Leben und die medizinische Versorgung von Transpersonen aussehen könnte. Nun kommt Mari auf das Thema Schuhe zu sprechen. Große Damenschuhe und kleine Männerschuhe stehen nämlich ganz oben auf ihre Forderungsliste. Nicht nur weil Mari ein persönliches Faible für Schuhe hat, sondern weil ein erweitertes Angebot im Schuhregal gleichbedeutend wäre mit mehr Akzeptanz.

In Anbetracht der massiven Probleme, wie beispielweise dem Klimawandel, der die menschliche Gesellschaft konfrontiert, brauchen wir die Unterstützung von allen. Alleine können wir, bzw. Subgruppen, es sonst nicht schaffen. Wer diskriminiert und ausgegrenzt wird – egal aus welchem Grund – leidet jedoch unter Minderheitenstress. Diese psychische Belastung resultiert in reduziertem politischem Gestaltungswillen. Denn die Akzeptanz und Entpathologisierung der geschlechtlichen Vielfalt macht uns Menschen demokratiefähig!

Wenn euch das Thema Geschlechtermedizin interessiert dann hört auch in den Podcast mit Andrea Galle. Sie ist Vorständin und Gründerin der BKK VBU, mit heute 500.000 Kunden, zu Frauengesundheit und digitalem Kulturwandel.

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