Das Mikrobiom – wie Biomarker und Bakterien uns künftig dabei helfen können, gesund zu bleiben

Faktencheck von Dr. Lara Maier

Für die Entstehung des Artikels danke ich: Dr. Paul Hammer (Biomes), Plamena Dikarlo (Biomes), Clarissa Tuchel, Larissa Middendorf

Unsere Ernährung und Verdauung sind zunehmend in den Fokus unseres Interesses gerückt. Wer sich mit dem Thema befasste, kam die letzten Jahre nicht um das humane Mikrobiom herum. Das Mikrobiom beschreibt die Gesamtheit aller Mikroorganismen, die den menschlichen Körper besiedeln. Wie wichtig das Mikrobiom geworden ist, zeigt auch das wirtschaftliche Interesse daran. Die Pharma-Industrie forscht intensiv dazu und es gibt Fonds, die ausschließlich in dieses Thema investieren, da es das Potential für ganz neue Ansätze in der Medizin bietet.

Das Mikrobiom

Mussten früher Bakterien erst angezüchtet werden, um sie untersuchen zu können, werden sie heute mit Hilfe der DNA-Sequenzierung einfach und schnell spezifiziert. Dieser technische Fortschritt ermöglichte es den Forschern, nicht nur die Vielfalt der circa 100 Billionen uns besiedelnden Organismen zu entdecken, sondern auch zu erforschen, wie eng unser Biosystem mit dem ihren verknüpft ist. Faktisch können wir ohne Bakterien & Co auf bzw. in uns nicht überleben. Waren die Erkenntnisse vor einigen Jahren noch ganz am Anfang, lohnt es sich nun, das Thema in einem Faktencheck aufzubereiten.

Das Mikrobiom bezieht sich auf die Gesamtheit unserer Mikroorganismen, die Forschung konzentriert sich derzeit aber vor allem auf unseren Magen-Darm-Trakt. Unsere Körpergesundheit ist essenziell von dem Magen-Darm-Trakt abhängig, da 70% aller Immunzellen im Darm sitzen. Diese wiederum steht und fällt mit unserem Mikrobiom, seiner Vielfalt und Funktionsfähigkeit.
Doch wie können wir diesbeeinflussen? Man ahnt es fast – mit der richtigen Ernährung und den üblichen Säulen für ein gesundes Leben: mehr Sport, weniger Stress, besserer Schlaf.

Bin ich gesund? Wie geht’s meinen Bakterien?

Um unseren persönlichen Status Quo erfassen zu können, müssen wir anfangen in  unseren Körper hinein zu hören. Wie geht es unserer Verdauung in Abhängigkeit der Tagesverfassung und nach einer Mahlzeit? Ein Indikator ist die sogenannte “Passagezeit”, die unsere Nahrung von Anfang bis Ende benötigt. Tim Spector, Professor für genetische Epidemiologie am Kings College London, hatte zuletzt mit einem “Tinten-Test” in UK dafür geworben, die Passagezeit selbstständig zu erfassen (und ihm diese per App mitzuteilen). Der Test ist denkbar einfach: man nehme blaue Lebensmittelfarbe z.B. mit gefärbten Muffins zu sich und überprüfe für mind. einen Tag, ab wann man die Farbe wieder sieht. Der “sweet-spot” liege < 24 h, aber alles von 5 – 30 Stunden scheint einer regulären Darmpassage zu entsprechen. Was wiederum deutlich zeigt, dass jeder von uns eineunterschiedliche Konstitutionen hat.

Der “Tinten-Test” bietet ein preiswertes Verfahren mit dem ein Vergleich innerhalb einer Gruppe möglich ist. Goldstandard ist aber die genetische Mikrobiom-Analyse, die auch Dr. Paul Hammer von Biomes anbietet und den Inga Bergen in Folge 14 der 2. Staffel “Visionären der Gesundheit” interviewt hat.


Potenzielle Ergebnisse einer Mikrobiom-Analyse

Einblicke in den Gesundheitszustand des Darmikrobioms zu geben, ist ein wichtiges Ziel in der aktuellen Humanmikrobiomforschung. Eine hochwertige Metastudie stellte dafür den “Gut Microbiomer Health Index” (GMHI) vor, einen prädiktiven Index der die Krankheitswahrscheinlichkeit unabhängig von einer klinischen Diagnose vorhersagt. Der GMHI wurde entwickelt auf Basis von 4400 Stuhlproben aus 46 Studien, die so ein Profiling der Bakterien in gesund und ungesund zuließen. Andere Studienergebnisse sprechen von 30 Baktierenstämmen, jeweils 15 guten und schlechten, deren Verhältnis über unseren Gesundheitszustand bestimmt. Sicher scheint: Je diverser das Mikrobiom, desto besser ist seine Funktionalität. Doch ist nicht nur die Artenvielfalt, sondern auch ihr Verhältnis untereinander entscheidend.

Diese kleinen Helfer sind die Chemie-Fabriken unseres Körpers. Sie produzieren bspw. Hormone, sowie Immun-Booster für unser Immunsystem die vor Allergien oder schweren Krankheitsverläufen schützen und Serotonin/Dopamin. Letztere sind essenziell für unsere mentale Gesundheit. Dazu unterstützen sie unseren Körper auch einfach bei der Verdauung. 

“Gut Microbiomer Health Index”

Über eine Mikrobiom-Analyse können also die Vielfalt und das Verhältnis unserer Bakterien bestimmt werden. Das lässt eine Aussage über unseren aktuellen Gesundheitsstatus zu und zeigt eventuell auf, wie wir unseren Lebensstil ändern sollten. Die Forschung ist noch immer am Anfang, die Empfehlungen werden aber immer genauer.

Eine Studie von Valles-Colomer M et al. widmete sich dem Zusammenhang zwischen dem mikrobiellen Stoffwechsel des Darms und der psychischen Gesundheit. Sie validierte in über 1000 Datensätzen, wie gewisse Mikrobiomwerte mit der Lebensqualität und Depression beim humanen Wirt korrelierten. Das Ergebnis: zwei Stämme wurden durchweg mit einer höheren Lebensqualität  in Verbindung gebracht. Sie beide produzieren einen Dopamin-Metaboliten, der mit hoher Wahrscheinlichkeit Einfluß hat auf die Entstehung von Depressionen in unserem Körper. Ein klassisches Beispiel der oft zitierten “Gut-Brain-Axis”. 

Noch sind die Analysegenauigkeit und der prädiktive Wert des GMHI ausbaufähig. Die klassifizierten Darmsignaturen liegen bei etwa 75% Treffgenauigkeit. Fehlklassifizierungen beruhen auf komplexen, hoch personalisierten Darmökologien, bei denen schlicht noch mehr Wissen fehlt. Laborproben sind nicht immer verlässlich, da die Probensammlung und -verarbeitung schwer kontrollierbar sind. Je mehr Daten gesammelt und ausgetauscht werden, desto mehr kann entdeckt und auf andere Körperbereiche angewendet werden.


Was wissen wir heute?

Fangen wir mit den Kleinsten an: Säuglinge müssen ihr Mikrobiom erst entwickeln, diese Entwicklung beginnt bereits vor der Geburt und wird u.a. durch die Muttermilch und spätere Nahrungsaufnahme beeinflusst. Man schätzt, dass das Mikrobiom eines Kindes sich mit circa 4 Jahren voll entwickelt hat. Ebenso wie sich unsere Körper mit dem Alter verändern, wandeln sich übrigens auch unsere Bakterien und unser Metabolismus.

Dabei bedingen diese sich wohl gegenseitig. Die Vielfalt der Darmmikrobiota und die Stoffwechselfunktion hängen zusammen. Es wurde nachgewiesen, dass der Bakterienstamm A. muciniphila negativ mit Übergewicht, unbehandeltem Diabetes mellitus Typ 2 und Bluthochdruck beim Wirt korrelieren können. Das heißt, je mehr A.muciniphila vorhanden waren, desto seltener kamen diese Symptome vor. In einer randomisierten, doppelblinden, placebokontrollierten Pilotstudie an übergewichtigen, insulinresistenten Freiwilligen wurde nun die Verabreichung des Stamms untersucht. Das Ergebnis: die tägliche orale Supplementation über drei Monate war sicher, gut verträglich und verbesserte mehrere Stoffwechselparameter.

Im Vergleich zur Kontrollgruppe verbesserten sich die Insulinsensitivität, der Insulinanteil im Blut und das Gesamtcholesterin signifikant um beeindruckende 10-30 %. Das Körpergewicht, der Hüftumfang und das totale Körperfett verringerten sich ebenfalls, jedoch nicht so ausgeprägt. Nach drei Monaten waren die relevanten Blutmarker der Leberfunktionsstörung (die typischerweise vorkommen) reduziert. Andere Metaanalysen legen ein protektiven Nutzen bestimmter Bakterien gegen die Entwicklung von CED (chronisch entzündliche Darmerkrankung) nahe, die Ergebnisse variieren aber noch zu stark innerhalb der einzelnen Studien.

Ebenfalls konnte nachgewiesen werden, dass einzelne Wirtseigenschaften wie Body-Mass-Index, Alter oder Geschlecht zwar nicht typisch sind für bestimmte Stämme im Wirtsdarm – es konnten aber mikrobielle Marker entschlüsselt werden, die beispielsweise mit dem BMI korrelieren. Reicht das schon als diagnostisches Potenzial?
Zwar nimmt unser Wissen über die Arten und die funktionelle Zusammensetzung des menschlichen Darmmikrobioms rapide zu, doch basieren sie immer noch auf sehr wenigen Kohorten. Über die weltweiten Variationen geschweige denn typische Muster in verschiedenen Ethnien ist sehr wenig bekannt.

Fest zu stehen scheint: 

  1. Je diverser das mikrobielle Genreichtum, desto gesünder scheint generell der Stoffwechselstatus zu sein. 
  2. Der GMHI ist ein entscheidender Index, um die Gesundheit des Mikrobioms und Wirts zu prognostizieren.


Was kann ich selbst tun?

Unser Mikrobiom will unser Freund sein, nicht unser Feind. Unser Körper ist essenziell mit ihm verbunden, wir profitieren voneinander und gehen eine wunderbare, lebenslang andauernde Symbiose ein,deren zahlreichen Aspekte von der Forschung erst nach und nach entdeckt werden. Die Vielfalt unserer Mikroorganismen sowie ihre Verhältnis zueinander bestimmt unsere Vitalität und Gesundheit. 

Das Gute: wir können darauf Einfluss nehmen! Wie eingangs erwähnt, sind die üblichen Verdächtigen Ernährung, Stress, Schlaf und Sport auch hier tragende Säulen.

“30 a week”

Das Verhältnis unser “guten und bösen” Stammbakterien ist wichtig, um vielerlei Krankheiten vorzubeugen. Beobachtungen konnten zeigen, dass sich die Bakterien-Ratio ebenso wie klassische Gesundheitsparameter im Zusammenhang mit der Ernährung veränderten, zum Guten wie zum Schlechten. “30 a week” bezieht sich auf die Vielfalt, mit der man sich wöchentlich ernähren sollte. Die Grundlage bildet eine pflanzenbasierte Ernährung, die sich zusammensetzt aus Gemüse, Nüssen, Kräutern und Gewürzen. Die “30 a week” zu erreichen wird damit zu einem realistischen Ziel. Ideal sind polyphenolhaltige Lebensmittel. Man erkennt sie am etwas bitteren Geschmack und einer auffallenden Farbe. Es empfehlen sich: Beeren, hochwertige Olivenöl, Nüsse, Schokolade und Rotwein, leuchtend gefärbtes Gemüse wie lila Karotten, Radiccio, etc. Dazu ab und an etwas Fermentiertes.

Es ist wichtig, dem Darm und seinen Bewohnern Pausen zu ermöglichen. Snacken und Zwischenmahlzeiten bringen das Verdauungssystem durcheinander, selbst die Bakterien können erschöpfen. Daher sollten mindestens 4 h zwischen jeder Mahlzeit liegen (was interessanterweise auch in der ältesten medizinischen Lehre, dem Ayurveda, gelehrt wird). Von der Empfehlung vieler kleiner Mahlzeiten pro Tag hat man längst Abstand genommen, außer es liegen bestimmte Krankheiten vor. Wir verdauen so besser, nehmen mehr Nährstoffe auf und entstressen unser gesamtes System.

Auf prozessiertes Essen sollte verzichtet werden

Dafür gibt es mindestens zwei Gründe: 

  1. Die Bakterien können und sollen das mit unseren Verdauungsenzymen erledigen, so hat es die Natur eingerichtet. Hoch verarbeitete Lebensmitteln enthalten in der Regeln kaum Ballaststoffe, Vitamine und Co – die “guten Bakterien” haben wenig zu tun. 
  2. Hochverarbeitetes Essen enthält oft Chemikalien und künstliche Süßstoffe. Die Verarbeitung dieser kann im Magen-Darm-Trakt zur Entstehung schädlicher Chemikalien führen, die einen Einfluss auf typische Volkskrankheiten haben könnten.

Die Mikrobiomforschung ist noch am Anfang. Sie wird sich aber durch mehr Datensätze rasant fortentwickeln und schon bald die klinische Arbeit unterstützen. Die gewonnenen Erkenntnisse werden sich breit anwenden lassen. Sie zeigen, dass wir Teil eines multifaktoriellen, sich gegenseitig bedingenden Systems sind. Wir sollten darauf achten, was und wie wir uns ernähren, um unser Leben und unsere Gesundheit positiv zu beeinflussen. Sie beweisen auch, dass es keine “one size fits all” Lösung gibt, da wir unterschiedliche Konstitutionen besitzen. 

Denn, so wusste schon Winston Churchill (1874-1965) “mit dem Geist ist es wie mit dem Magen: Man sollte ihm nur Nahrung zumuten, die er verdauen kann”.

Quellen:

Tim Spector, “The Diet Myth. The real science behind what we eat”, Orion Publishing Group

Gupta VK et al. – A predictive index  for health status using species-level gut microbiome profiling. Nature Communications.  2020;11:4635. https://www.nature.com/articles/s41467-020-18476-8 

Depommier C et al. Supplementation  with Akkermansia muciniphila in overweight and obese human volunteers: a proof-of concept exploratory study. Nature Medicine. 2019;25:1096–1103.  

https://www.nature.com/articles/s41591-019-0495-2

Valles-Colomer M et al. –  The neuroactive  potential of the human gut microbiota in quality of life and depression. Nature  Microbiology. 2019; 623–632. https://www.nature.com/articles/s41564-018-0337-x 

Manor O et al. – Health and disease  markers correlate with gut microbiome composition across thousands of people. Nature  Communications. 2020;11:5206. https://www.nature.com/articles/s41467-020-18871-1 

Dao MC – et al. Akkermansia  muciniphila and improved metabolic health during a dietary intervention in obesity:  relationship with gut microbiome richness and ecology. Gut. 2016;65:426–36.  https://gut.bmj.com/content/65/3/426 

M. Blaut: Vielfalt der Kulturen: Zusammensetzung und Funktion der Mikrobiota im Darm. In: Aktuel Ernahrungsmed 2012; 37(S 01): S2-S6, DOI: 10.1055/s-0031-1298851. Georg Thieme Verlag, Stuttgart 2012

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