Dr. Henrik Matthies ist ein Visionär der ersten Stunde, mehrfacher Gründer, zuletzt seines aktuellen Unternehmens Honic. Honic ist eine Plattform, die Forscherinnen und Forscher dabei unterstützt, Daten aus dem deutschen Gesundheitssystem datenschutzkonform zu nutzen. Bisher greifen Forschende häufig auf Daten aus anderen Ländern zurück – weil die Auslegung des Datenschutzes die Nutzung von Daten aus Deutschland erschwert.
Wir kennen Henrik Matthies bereits aus der ersten Staffel der Gesundheitsvisionäre, damals noch als Geschäftsführer des Health Innovation Hub. Im Podcast erzählt er, wie es zur Gründung von honic kam, wie er und sein Team es schaffen wollen, Daten in Deutschland patientenorientiert für Forschung und bessere Versorgung zu nutzen, und warum die Zusammenarbeit mit den Datenschutzbehörden wichtig ist.
Wie ist die Idee zur Gründung von honic entstanden?
Der Datenschutz werde in Deutschland viel zu streng ausgelegt, so Matthies. Um Fortschritt und Forschung und damit automatisch auch die Versorgung zu sichern und zu verbessern, braucht es Zugriff auf möglichst tagesaktuelle Daten. Dafür fehle aber eine zentrale Infrastruktur. Denn wenn Daten aus der Versorgung ohne Zeitverzögerung nutzbar sind, können sie besser in der Forschung eingesetzt werden. Das führt langfristig auch zu Innovationen in der Versorgung. Honic hat in enger Zusammenarbeit mit der Leitung der Landesdatenschutzaufsicht in Baden Württemberg ein Konzept entwickelt. Dieses beinhaltete, Daten aus der Versorgung für die Forschung nutzbar zu machen.
Der Status quo? Daten aus Deutschland sind kaum nutzbar – Forschende müssen auf andere Länder ausweichen
Deutschland hat eine der schlechtesten Dateninfrastrukturen der Welt. Forschende müssen in der Regel auf Datensätze aus dem Ausland wie Israel oder Skandinavien zurückgreifen. Der deutsche Datenschutz macht die Nutzung eigener Daten zu kompliziert. Das Problem ist die Einwilligung. Patient:innen müssen genau angeben, wofür ihre Daten verwendet werden dürfen und wofür nicht. Das lässt keinen Spielraum für Eventualitäten und führt dazu, dass so gut wie keine Daten aus dem realen Leben verwendet werden.
Datenschutz in Deutschland ist chaotisch
Dr. Henrik Matthies und Prof. Dr. med. Debatin haben Honic in Baden-Württemberg ins Leben gerufen. Und das ganz bewusst. Denn wie viele andere Themen in Deutschland ist auch der Datenschutz in jedem Bundesland anders geregelt. Dabei hat jedes Land seine eigene Interpretation der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO). Dabei fehlt eine Koordination oder einer Harmonisierung auf Bundesebene. In Baden-Württemberg folgt man jedoch dem Motto: „Hart, aber progressiv“ und möchte insbesondere für diese Problematik eine gute Lösung finden.
So hat Inga bereits in einer älteren Podcast-Folge mit Katharina Jünger, der Gründerin der TeleClinic, gesprochen, die sich ebenfalls bewusst für Baden-Württemberg als Gründungsstandort entschieden hat.
Wie funktioniert denn Honic jetzt eigentlich?
Das Team von Honic hat sich mit den Behörden zusammengetan, um einen besseren Zugang zu medizinischen Daten zu erhalten. Der wichtigste Aspekt, der dieses Projekt möglich macht, ist, dass Honic niemals Daten erhält, die Personen direkt identifizieren. Das sind zum Beispiel Namen, Adressen oder Versichertennummern, also alles, was direkt auf einzelne Personen hinweisen könnte. Die gesammelten Daten werden an die Bundesdruckerei geschickt, einen neutralen externen Datentreuhänder. Die Bundesdruckerei verschlüsselt die Daten und leitet sie an Honic weiter.
Das Unternehmen geht aber noch einen Schritt weiter, um alle Eventualitäten auszuschließen. So werden weder das genaue Geburtsdatum noch die Postleitzahl übermittelt. Obwohl Geschlecht und Alter wichtige medizinische Daten sind, reicht es völlig aus, das Geburtsjahr, aber nicht das genaue Datum im Datensatz zu haben.
Honic ist eine Art Gatekeeper der Daten
Eine große Menge an Daten über die Gesamtbevölkerung hilft auch zu verstehen, wo Lücken in den Datensätzen bestehen. Die meisten Daten stammen aus den Krankenhäusern. Diese sind allerdings nur eine Momentaufnahme und zeigen weder die ambulante Historie noch die Folgeentwicklungen der Paten:innen auf. Henrik Matthies Unternehmen wirkt dem entgegen, indem sie ihre Daten aus mehreren Bereichen bezieht. So kombinieren sie Labor-, Medikations-, Diagnose- und Therapiedaten und können so ein breites Bild für die Forschung zeichnen.
Möchte nun ein:e Forscher:in bestimmte Daten für die individuelle Forschung erwerben, muss zunächst ein externes Compliance Board über den Patientennutzen des Projektes abstimmen. Ist dieser gewährleistet, werden nur die Daten gebündelt weitergegeben, die auch unmittelbar für die Forschung benötigt werden. Zudem ist der Zugriff auf die Datensätze nur digital möglich, ohne dass diese heruntergeladen werden können. Die Daten werden später wieder gelöscht, so dass in der Datenbank immer nur Einzeldaten vorhanden sind, die erst nach dem Compliance-Prozess zusammengeführt werden.
Es braucht einen kulturellen Wandel, um Datenschutz in Deutschland neu zu denken.
Dies ist ein langer Prozess, der bereits durch die Corona-Pandemie angestoßen wurde. Aber der zu strenge Datenschutz ist tief in den Köpfen der Menschen im Gesundheitswesen verankert. Oft wird aus Angst, etwas falsch zu machen, nichts mit den Datensätzen gemacht. Dabei kann uns ein Blick in andere Länder viel lehren. So gibt es in Skandinavien bereits angemessenere Datenschutzbestimmungen, die einen schnelleren Zugang zu Daten ermöglichen.
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