„Alle Jahre wieder“… kommen wir über die Feiertage zusammen, um uns spätestens zwischen den Jahren gute Vorsätze fürs neue Jahr zu setzen. Immerhin 40% der Deutschen pflegen diese Tradition regelmäßig. Ein löblicher Ansatz, der leider selten langfristig umgesetzt wird. Dabei sollten wir, ganz unabhängig vom Kalender, verinnerlichen was für einen großen Einfluss unser alltägliches Leben auf unsere lebenslange Gesundheit (und sogar die unserer Nachfahren) hat. In unserem aktuellen Podcast mit Moritz Völker-Albert, Mitgründer und CEO des Start-Ups „EpiQMax“, geben wir euch etwas „Food for thoughts“ ins neue Jahr mit und besprechen das Thema der Epigenetik. Epigenetik beschäftigt sich mit dem „An- und Ausschalten“ genetischer Informationen auf direktem oder indirektem Weg über beispielsweise “Methylierungen”. Somit beeinflusst sie maßgeblich die Ausbildung unseres Phänotypes.
Phänotyp
Als Phänotyp bezeichnet man das Erscheinungsbild eines Organismus, d.h. seine tatsächlichen morphologischen und physiologischen Eigenschaften – unabhängig davon, ob sie vererbt oder erworben wurden.
Meine Gene, mein Schicksal?
Die Meinung, unsere Gene seien unser Schicksal, ist weit verbreitet. Fakt ist allerdings, dass unsere genetische Prädisposition, also unsere Anfälligkeit für bestimmte Erkrankungen, nur für circa 10% unserer Gesundheit verantwortlich ist. Unsere epigenetischen Einflüsse bestimmen jedoch 70-90%, denn die Methylierungsmuster sind so flexibel, wie es die andauernden Lebensumstände erfordern. Anders als die Basenfolge in der DNA verändert sich das epigenetische Muster, wie in Tierexperimenten bereits nachgewiesen werden konnte.
Mittlerweile ist bekannt, dass epigenetische Sequenzen auch an die nächste Generation übertragen werden. So haben Kinder, deren Mütter zu Zeiten der Schwangerschaft Hunger litten ein signifikant erhöhtes Risiko zu sterben. Oft zeigt sich das sogar erst nach dem 30. Lebensjahr und ist bedingt durch das Auftreten von Krankheiten wie Adipositas, Diabetes oder Schizophrenie. Eine ausgewogene und pflanzenbasierte Ernährung könnte durch die enthaltenen Methylgruppen und Vitamin B wiederum eine positive Einflussmöglichkeit besitzen, so dass das korrekte „Aus- und Anschalten“ genetischer Funktionen ohne signifikante Defizite abzulaufen vermag.
Methylierung
Unter DNA-Methylierung versteht man die chemische Kopplung von Methylgruppen an bestimmte Nukleotide der DNA. Damit werden Gene reguliert: Methylierte Nukleotide in der Promotorregion eines Gens führen zu seiner Inaktivierung und agieren somit als „Ausschalter“. Dieses Phänomen verhindert, dass alle Gene in einem Gewebe oder einer Zelle gleichzeitig exprimiert werden. Es lassen sich sowohl gewebe- als auch krankheitsspezifische Muster identifizieren. Sie ermöglichen die Diagnose von Erkrankungen zu einem sehr frühen Zeitpunkt und erlauben ihre molekulare Klassifizierung.
Ernährung, Bewegung, Schlaf und mentale Gesundheit: die 4 Säulen unseres Lebens
Die Epigenetik ist zwar mit unserer genetischen Prädisposition gekoppelt, jedoch nicht davon abhängig. In einer Studie wurde nachgewiesen, dass intensive Lebensstilveränderungen bei Patienten mit Prostatakarzinom zur veränderten Expression von 500 Genen führte (453 wurden runter-, 48 hochreguliert). Sie stehen alle im Zusammenhang mit der Entstehung von Krebsgeschwulsten. Das Studiendesign muss kritisch betrachtet werden, aber auch weniger deutliche Ergebnisse zeigen ähnliche Tendenzen an. Zwillingstudien zeigen auf, dass sich sowohl unsere Darmflora (das Mikrobiom) als auch die epigenetischen Methylierungsmuster umso mehr unterscheiden, je länger die Zwillinge auseinander lebten und je älter sie waren.
Unsere Ernährung und regelmäßige Bewegung beeinflussen beispielsweise einen Rezeptor, der die Glukoseaufnahme im Skelettmuskel reguliert und damit Blutzuckerspitzen verringert. Ein konstant hoher Blutzuckerspiegel schadet uns unter anderem durch die Produktion von Proteinen, die Entzündungen im Körper provozieren. Dadurch kann es zu Unregelmäßigkeiten im Innern unserer Gefäßwände kommen (makrovaskuläre Endothelveränderungen) und das wiederum führt zu Bluthochdruck und Arteriosklerose mit weitreichenden Konsequenzen. Frühe und langfristige Lebensstiländerungen können dem Prozess entgegenwirken.
Aussicht auf personalisierte Medizin
Prädiabetische Stadien könnten unter anderem dank „EpiQMax“ vermutlich bald epigenetisch frühzeitig erkannt und – durch Lebensstilveränderungen und Medikamente – therapiert werden. Die Forschung ist hier noch am Anfang, doch mit dem Wissen über unsere interpersonellen individuellen (epi)genetischen Unterschiede könnten auch Medikamente stärker personalisiert werden. Das beginnt bei unserem Mikrobiom, welches Einfluss auf die Bioverfügbarkeit eines Wirkstoffes haben kann, verankert sich in der proaktiven Wahl unseres Lebensstiles und endet beispielsweise bei der Entwicklung von individuellen Medikamten. EpiQMax setzt auf letzteres und forscht an „personalisierten (…) und therapiebegleitenden Wirksamkeitsnachweisen“.
Unsere Gene, genauer unser Phänotyp, ist also nicht alleine unser Schicksal, sondern wird von unserer Lebensführung beeinflusst. Neujahrsvorsätze hin- oder her, ich empfehle die 80-20-Regel: wer sich 80% „bewusst gesund“ verhält, kann auch 20% ungesunden Lastern frönen.
Bioverfügbarkeit
Sie bezeichnet den prozentualen Anteil eines Wirkstoffes einer Arzneimitteldosis oder von Nährstoffen, die im systemischen Kreislauf zur Verfügung steht. Die Bioverfügbarkeit ist eine Messgröße wie schnell und in welchem Umfang pharmakologisch wirkende Substanzen oder Nährstoffe resorbiert werden und wirken können.
Quellen
- Moller-Levet et al; „Epigenetic differences arise during the lifetime of monozygoute twins”, Proc.. Natl. Acad. Sci USA, 2005
- Ling et al; “Epigenetics: A Molecular Link Between Environmental Factors and Type 2 Diabetes”, Diabetes, 2009;
- Ornish et al; “Changes in prostate gene expression in men undergoing an intensive nutrition and lifestyle intervention”, 2008
- Godfrey et al; “Epigenetic gene promoter methylation at birth is associated with child’s later adiposity”, Diabetes, 2011
- Group et al, New England Journal of Medicine, 2008
- Schulz et al, Proc.. Natl. Acad. Sci USA, 2010
- Heijmans et al ; “Persistent epigenetic differences associated with prenatal exposure to famine in humans.”Proc.. Natl. Acad. Sci USA
- www.spektrum.de
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