Faktencheck Teil II
Katharina Jünger, CEO und Co-Founder von Teleclinic, postulierte in unserem Podcast „Visionäre der Gesundheit“ zuletzt dass es pro Land einen nationalen Champion geben (wird), der für das jeweilige Land das beste Model baut und der entscheidende Anbieter ist. Das nehmen wir zum Anlass, in Anlehnung an den „Faktencheck Telemedizin Teil I“ einen Blick über den deutschen Tellerrand zu werfen.
In der Diskussion um telemedizinische Dienstleistungen lohnt sich ein vergleichender Blick über die Ländergrenzen – Wie ist der internationale Status Quo? Wie visionär sind unsere europäischen und internationalen Nachbarn und was können wir von ihnen lernen?
Teleradiologie in Israel
In Israel, ein für seine digitalen Innovationen bekanntes Land, ist die Teleradiologie bereits fest etabliert. Den Patient*innen wird in jedem Krankenhaus ein Link zugewiesen, über den sie ihre Testergebnisse einsehen können. Ebenso können diese mit dem Hausarzt und organisationsübergreifend eingesehen werden, wenn der Patient einwilligt.
Erwähnenswert ist auch das „MOMA“, ein multidisziplinäres Gesundheitszentrum, das 2012 von der HMO Maccabi HealthCare Services gegründet wurden. „MOMA“ überwacht und begleitet chronisch erkrankte Patienten telemedizinisch, die eine Langzeitbetreuung und Monitoring benötigen wie beispielsweise Diabetiker, chronisch Lungen- und Herz-Erkrankte oder Krebspatienten. Ärzt*innen, Pflegepersonal und Patient*in sind dabei per App mit den Patient*innen verbunden. Dabei bietet MOMA vielfältige unterstützende Funktionen, wie die Dokumentation von Wundbildern per Kamera, oder die Messung von Blutzucker ebenso wie Blutdruck. Patient’innen (sowie das klinische Personal) werden dabei im Umgang mit der Technologie geschult. All dies geschieht selbstständig in häuslicher Umgebung und wird automatisch in die digitale Patientenakte eingepflegt. Das medizinische Personal behält somoit den aktuellen Überblick, während sie Patient*innen auch über große Entfernungen betreuen kann.
Verbot der Ferndiagnose in Belgien
Laut einer aktuellen Studie der Bertelsmann Stiftung wird in Belgien hingegen der Begriff „Telemedizin“ bisher in keinem Positionspapier erwähnt. Zur digitalen Fernüberwachung kritischer Patienten wird nur in Ausnahmefällen gegriffen und eine Behandlung per Ferndiagnose ist Ärzten gesetzlich nicht gestattet. Unser europäischer Nachbar hat noch einiges aufzuholen. Offensichtlich gab es im belgischen Gesundheitssystem bisher keinen großen Innovationsdruck. Denn nur dieser zwingt einen machmal zur Veränderungen, wie die Corona-Pandemie aktuell aufzeigt.
USA baut Telemedizin weiter aus
In den USA wurde die Entwicklung lange Zeit durch Venture Capital finanzierte Start Ups aus dem Silicon Valley dominiert. Diese Entwicklung setzt sich nun auch politisch fort. Im Zuge des Ende März beschlossenen „CARES-Act“ (Coronavirus Aid, Relief, and Economic Security) stehen Zuschüsse für den Ausbau der Telemedizin in Höhe von 200 Millionen US$ (!) bereit. Gesundheitsdienstleister, die in den Ausbau von Telekommunikations- und Informationsdiensten investieren können sich um die Mittel bewerben. Ebenso fördert die Regierung die Produktion technischer Geräte, die für die Bereitstellung telemedizinischer Leistungen erforderlich sind. So erhält das Thema nun auch hier einen breiten Aufschwung.
Das Marktforschungsunternehmen Arizton ging, kurz nachdem die Coronakrise in den USA angekommen war, davon aus, dass der US-Markt für Telemedizin 2020 um etwa 78 Prozent auf 9,5 Milliarden US$ anwachsen wird. Bis 2025 wächst der Markt im Schnitt um weitere knapp 30 Prozent pro Jahr auf 25,6 Milliarden US$ . Erste Umfragen deuten auf einen dauerhaften Wandel hin: Eine deutliche Mehrheit der Nutzer telemedizinischer Dienstleistungen bekundet eine hohe Zufriedenheit. Viele Patienten wollen daher womöglich auch nach der Pandemie wieder auf solche Dienste zurückgreifen.
Wir erinnern uns an das deutsche Stimmungsbarometer: die Nutzer, also die Patienten, zeigten sich durchweg zufrieden mit dem „Service“. Das medizinische Personal äußerte explizit Zweifel am Mehrwert und Berührungsängste ob der technischen Hürden.
Durch diese Entwicklung wird mittel- bis langfristig sicher auch die Bereitschaft wachsen, andere digitale Gesundheitslösungen wie z.B. Remote Monitoring anzuwenden. Während in der Coronakrise Videochats mit Ärzten boomen, werden in Zukunft solche Anwendungsmöglichkeiten den Anstoß für die Entwicklung weiterer telemedizinischer Plattformen geben.
Schweden – Europas Vorreiter in Sachen Telemedizin
Zurück in Europa ist Schweden der europäische Vorreiter. Sie setzten sich zum Ziel, ein einheitliches nationales eHealth-Systems zum Austausch von Gesundheitsdaten zu etablieren (wie die Telematik-Infrastruktur in einheitlich und gut funktionierend). Und haben es (fast) geschafft! „Sjunet“, ein Breitbandnetzwerk, agiert unabhängig von der regulären Internetleitung und wird u.a. für telemedizinische Video-Konferenzen, Teleradiologie, den Fernzugriff auf Anwendungen, die elektronische Patientenakte und für sichere E-Mails genutzt. Es kann auch fürs E-Learning in der medizinischen Aus- und Weiterbildung von Gesundheitspersonal eingesetzt werden. So ist es nicht überraschend das aus Schweden auch das mit 210 Millionen finanzierte schwedische Tele-Medizin Start Up Kry zunehmend in andere europäische Märkte expandiert und auch in Deutschland eine Vorreiterrolle einzunehmen versucht.
Telemedizin wird zum neuen Standard
Der internationale Blick bestätigt, was wir in Deutschland ebenfalls beobachten: Telemedizin ist keine Vision mehr, sondern auf dem Weg dazu der neue Standard in der medizinischen Versorgung zu werden.
Ob die aufgezählten Errungenschaften alle dem Patientenwohl dienen, wie Ärzte die veränderten Arbeitsbedingungen beurteilen und ob Projekte wie „MOMA“ einwandfrei funktionieren, beurteilt dieser Artikel nicht.
Doch wir alle gehen einheitlich den selben Weg, manche ziehen schon mehr am Strang, andere weniger. Generell hat sich die Marktkonzentration in der Digitalisierung bereits auf anderen Feldern gezeigt. Auch auf den deutschen Telemedizinmarkt drängen zunehmend internationale Player. Champion wird meines Erachtens, wer sich klug mit anderen Lösungen verbindet, seine Leistung sinnvoll ergänzt und damit tatsächlich zu einer besseren Versorgungslösung beiträgt.
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