Prof. Dr. Kai Kolpatzik über Reparaturmedizin, Kulturwandel & digitale Gesundheitskompetenz

Prof. Dr. Kai Kolpatzik

Prof. Dr. Kai Kolpatzik ist Arzt, Public-Health-Experte und eine der wichtigsten Stimmen für Gesundheitskompetenz und Prävention im deutschsprachigen Raum. Er ist CEO des Instituts für Digitale Gesundheit, leitet die Berlin Health Media und ist Honorarprofessor für Digitale Gesundheit und Public Health Policy. Als öffentliche Stimme für ein modernes, präventives Gesundheitssystem setzt er sich für einen Paradigmenwechsel in Medizin, Kommunikation und Patientenverantwortung ein. In dieser Podcastfolge spricht er mit Inga Bergen über kulturelle Veränderungen, digitale Trends, den Wert von Prävention und die nötige Systemreform – alles mit dem Ziel, Gesundheit neu zu denken.

Gesundheit neu denken – weg von Reparaturmedizin

Prof. Dr. Kai Kolpatzik schildert zu Beginn, wie ihn seine Ausbildung in Medizin und Public Health für das Thema Gesundheitskompetenz sensibilisiert hat. Er kritisiert die Dominanz der sogenannten „Reparaturmedizin“ – also einer Medizin, die erst eingreift, wenn etwas bereits kaputt ist. In der Logik unseres heutigen Gesundheitssystems seien Leistungen wie Operationen und Eingriffe wirtschaftlich attraktiv, während Prävention, Lebensstilmedizin und Gesundheitsförderung kaum vergütet würden. Das führe zu einer Schieflage, in der das gesunde Leben zu wenig Wert erfahre.

Zwischen Lifestyle und Leistungskatalog

Kolpatzik argumentiert leidenschaftlich für eine Neubewertung von Lebensstilfaktoren wie Schlaf, Ernährung und Bewegung. Diese seien keine „Privatsache“ oder „weich“, sondern wissenschaftlich belegte Basis erfolgreicher Gesundheit. Er setzt sich dafür ein, dass das, was Patient:innen aktiv beitragen können – insbesondere in der Prävention – systematisch gestärkt wird. Das gegenwärtige System tue oft so, als seien Patient:innen passiv. Dabei müsse Eigenverantwortung gezielt gefördert und strukturell unterstützt werden.

Digitale Gesundheitskompetenz & Künstliche Intelligenz

Im Gespräch geht es auch um den Einfluss von KI, insbesondere Large Language Models (LLMs), auf das Gesundheitsverhalten. Prof. Dr. Kai Kolpatzik beschreibt, wie sich durch KI-gestützte Chatbots und Suchverhalten bereits erste kulturelle Verschiebungen zeigen. Immer mehr Menschen stellen ihre Gesundheitsfragen nicht mehr bei Google oder Ärzt:innen, sondern digitalen Assistenten – mit dem Potenzial, aber auch Risiken. Diese Entwicklung verändere die Erwartungen an ärztliche Kommunikation grundlegend und fordere das System heraus, sich neu aufzustellen.

Die Macht der Sprache und Patientennavigation

Besonders wichtig ist Kolpatzik die Kommunikation im Gesundheitswesen. Er betont, dass Packungsbeilagen, Arztbriefe und selbst offizielle Patienteninformationen häufig unverständlich seien. Gesundheitsinformationen müssten in einfacher, empathischer Sprache formuliert sein. Kommunikation dürfe nicht rein rational, sondern müsse emotional anschlussfähig sein. Dabei sieht er auch die Medien in der Verantwortung – etwa bei Word & Bild, wo er sich für patientenorientierte Inhalte engagiert.

Ein weiterer Punkt: die Fähigkeit, sich im Gesundheitssystem zu orientieren. Der Begriff „Navigationskompetenz“ fällt mehrfach. Viele Menschen wüssten nicht, wo sie anfangen sollen – sie fühlten sich verloren. Ein modernes Gesundheitssystem müsse Navigation ermöglichen – durch echte Lotsen, digitale Tools und transparente Strukturen.

Systemischer Wandel statt Schuldzuweisung

Prof. Dr. Kai Kolpatzik macht deutlich, dass Gesundheitskompetenz nicht nur eine individuelle Aufgabe ist. Selbstverantwortung dürfe nicht bedeuten, Menschen mit komplexen Strukturen allein zu lassen. Er kritisiert, dass die elektronische Patientenakte (ePA) bislang nicht patientenfreundlich gedacht sei, sondern vorrangig für Ärzt:innen. In seinem Bild ist das deutsche Gesundheitswesen noch stark im „1950er-Jahre-Familienmodell“ verhaftet – mit klaren Rollen, wenig Eigenständigkeit für Patient:innen und wenig Dialog.

Prävention braucht kulturellen Wandel

Zum Abschluss diskutieren Inga Bergen und Prof. Dr. Kai Kolpatzik, wie man das System wirklich verändern kann. Er fordert mehr Mut, Verantwortung neu zu denken – sowohl bei Ärzt:innen als auch bei Politik und Gesellschaft. Prävention müsse endlich ernst genommen und strukturell verankert werden. Gesundheitskompetenz sei kein Nebenthema, sondern der Schlüssel zur Zukunftsfähigkeit unseres Systems.

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